Abschied. Heute rüste ich meine Segel für einen Neuanfang.

 

 
 
 

15 Jahre. Das ist eigentlich mein halbes Leben.

Ja, es gibt Menschen, die wechseln alle paar Jahre ihren Job. Menschen, die das können. Ich gehöre nicht dazu.

Damals, nach dem ABI, da wollte ich in die Medienbranche. Zum Fernsehen. Da, wo Menschen mitten drin sind, im unechten, gefakten Leben.Ich war in einer Promotion-Agentur für Künstler wie Haddaway und Gunter Gabriel tätig und mit jedem per Du. Ich kannte alle von der EMI und von UNIVERSAL. Und wenn man dann so 25 ist, wird es schwierig — dann biste nämlich echt so richtig out. Menschen, mit denen ich gestern noch gearbeitet habe, wurden morgen gekündigt, weil sie “zu alt” waren für die Medienbranche. Junge, hippe Leute.….. was da drüber ist, ist halt einfach raus. Ende.

Okay. Ich entschied mich für den “sicheren” Weg. Nach einem Jahr TV und Medien wollte ich dann doch lieber die solide Ausbildung. Mit einer 5- in Mathe habe ich mich für einen soliden kaufmännischen Beruf beworben. Industriekauffrau. Ich bekam den Job. Ich absolvierte die Ausbildung mit Ach und Krach mit einer 4. Wie so alles, was ich in meinem Leben in Angriff nahm, was mir vernünftig erschien. Ich wollte immer schon Musik machen und malen. Oder fotografieren. Künstler? Das ist nix solides. Das sagten die Anderen. Und damals habe ich das halt auch einfach geglaubt.

5- in Mathe. Abi mit 3,8 — mit allem halt einfach so duschgeschlittert. Weil mir das einfach nicht wichtig erscheint. Ich wollte immer tun, was mir Freude bereitet. Und dann machte ich eine Ausbildung zur Industriekauffrau.

Abschluss — geschafft — 4. Juhu! Oh man Mel ey! Nebenbei hab ich dann halt Musik gemacht. Und Fotos. Hab ein Wunschkind bekommen, wurde alleinerziehend und am Ende.…… da war die Arbeit im Büro oft meine einzige Konstante über Jahre. Es sind jetzt 15!

Menschen brauchen eine Konstante. Eine Konstante ist Halt. Ich hatte einige Niederlagen und hab mich immer gefragt wo ich stehe. Mein Job als INDUSTRIEKAUFFRAU — das, was immer sicher war ! Aber eigentlich.…. bin ich das einfach so gar NICHT!!!!!

Ich bin Mel. Ich liebe das Leben. Ich bin ein HIPPIE. Ich liebe kleine Momente. Und ich lebe mein Leben nach meinen Regeln, Prioritäten und Prinzipien. Ich bin glücklich.

HEUTE. 15 Jahre lang habe  ich in diesem “Laden” gearbeitet. Im Büro. Nix für mich eigentlich. Für einen Konzern. Da bist Du nur eine NUMMER! Und hier fängt es an. Das Bewusstsein zu entwickeln, was eine Nummer ist, und was eine zwischenmenschliche, bedeutsame Beziehung ist, die Du da aufgebaut hast.

DA OBEN bist Du die NUMMER. Da zählen die Excel-Statistiken. Und ganz weit unten wird es menschlich. Da, wo du deine Seelenverwandten triffst, da, wo man menschlich ist.

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BREAK

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15 Jahre. Mein eigenes Büro in der Personalabteilung. 200 Menschen, die ich alle kenne. Ihre Familien, Ihre Spitznamen. Ihre Kinder. Hey — ich kannte Bankverbindungen, die Krankenkassen, fast alle Durchwahlen — ich kannte fast all ihre Geschichten.….. denn es gab immer Momente, wo jemand sein Herz ausschütten wollte. Wir waren die Personalabteilung. Und das ganze letzte Jahr habe ich Zeugnisse geschrieben für jeden Herzmenschen, der sich neu beweisen muss auf dem Arbeitsmarkt. Und jedes Mal brannte mein Herz. Wenn Existenzen zerstört werden und man nun alles dafür vorbereitet, dass hier bald keiner mehr hinkommt.

Heute haben wir alle geweint. Egal ob Frau, ob Mann. Viele sind krank, weil sie nicht Abschied nehmen können. Das war Familie. Es gab so gut wie keinen, den ich GESIEZT habe. Das, was da per DU war, war sowas wie “lebenslänglich”-. Wir kannten uns. Wir kannten uns einfach. Jeden Tag!

Ich ging auf in Projekten, die ich ins Leben gerufen habe. Meine Kollegin war meine Seelenverwandte. Jeden Tag habe ich sie gesehen. Mehr, als meinen eigenen Sohn. Wir haben zusammen geweint. Und mit meinem liebsten Kollegen habe ich gelacht — jeden Tag so um 9. In einen anderen habe ich mich verliebt. Mit ihr konnte ich immer um halb 12 einen Kaffee trinken, und mit ihr habe ich nachmittags immer Popcorn gemacht. Mit ihm habe ich mindestens 3 Mal am Tag telefoniert. Und sie wusste alles über meine Männer-Geschichten. Ich kannte ihre Telefonnummer- es war die -150 — und wir verabschiedeten jedes Telefonat mit TSCHÖ! — Und ich sagte immer seine Personal-Nummer — das war IMMER LUSTIG, weil ich nie seinen Namen sagte. Und ich wusste, wieviele Kinder er hat. Und dass sie mittags immer alles mit Nudeln aß. Er war derjenige, der mir immer mit meinem Auto geholfen hat und sie wusste immer einen Rat, wenn es um meine Haare, mein Karnevalskostüm oder meine Klamotten ging. Sie hat mir auch immer Mut gegeben, wenn ich abends verzweifelt einfach so da saß. Er wusste, dass ich Kaffee mit extra Milch mochte und ihr war klar, wenn ich komisch gucke, dass ich schlecht drauf bin. Sie wusste alles von mir. Ich habe geliebt. Gelacht. Geweint und verflucht.

Mein halbes Leben war ich dort, wo ich dachte, da bin ich falsch. Heute, wo ich so viele Tränen vergossen und mein Büro geleert habe, schmerzt es sehr. Mein halbes Leben geht. Und ich merke, dass das schön war. Ich bin ein KREATIV-Mensch. Aber ich habe die Konstante in meinem Leben sehr geliebt- und heute verloren. Ein großer Abschied.. Und jeder tickt anders. Einige machen ihre Runde und sagen “Leb wohl”, andere sind krank, weil sie es nicht mehr aushalten und wieder andere ergreifen am letzten Tag die Flucht, ohne jegliche “Abschiedsszenerien”. Menschen verschwinden. Einfach so.

Ich habe meinen Schlüssel zu meinem Büro abgegeben. Da, wo Bilder meiner liebsten Menschen an der Wand hingen, da wo ich Verantwortung getragen, Menschen geholfen und Geschichten angehört habe. Dort, wo 15 Jahre lang mein Platz war. Morgens um 8 — auch dann, wenn ich gesagt habe — BOR LEUTE- ich habe keinen Bock! Aber ich hab da irgendwie alles geliebt. Meine Routine, meine Konstante.… die, die ich mochte, die, die ich nicht mochte. Alles gehörte so dazu. Zu dieser Zeit, die jetzt einfach so nach 15 Jahren vorbei ist. 200 Menschen auf der Straße, weil ein Konzern meint, so muss das. FUCK YOU!

Stundenlange Umarmungen. Ein Klammern an Telefonnummern. Ja, wir werden irgendwie in Kontakt bleiben. Und wir alle wissen. Nein. Denn wir wissen, wie das Leben ist. Sehen werden wir uns nicht. Das, was da war jeden Tag — so ist das nie mehr. Ja, das ist halt realistisch.

Meine Segel stehen auf NEUANFANG. Jetzt schaue ich mir eine neue Welt an. Hallo Welt, wir freuen uns auf Dich. Auch wenn es gerade furchtbar traurig ist und ein loslassen immer schwierig ist. Es ist okay. DAS war dein halbes Leben. Jetzt kommt ein neues halbes Leben. Und das wird gut!!!!!!

ABSCHIED nehmen. Trauern. Abschließen. Chancen erkennen. Akzeptieren. Traurig sein. Weinen. Hoffen. Vertrauen. Lieben. Mein HEUTE ist das Morgen.

Dinge, die 15 Jahre lang selbstverständlich waren, nehmen eine andere Richtung ein, wenn sie WEGsind. Denn sie sind nicht mehr selbstverständlich. REALISTISCH  — LEBEN. Tja, so ist das.

Morgen klingelt der Wecker um 7 Uhr, Mein Sohn muss zur Schule. Und ich? Das, was ich als “sicher” empfand, ist heute Geschichte. Gar nichts im Leben ist sicher. Es gibt keine Konstanten, es gibt nichts, was Dich hält. Aber ich freue mich endlich auf das neue Jahr. Und neue Chancen. Es gibt immer ein MORGEN! Auch, wenn das Morgen auf einmal anders ist.

Hey- ist das schlimm? Das muss jetzt so  Ich freue mich.

Jedem Abschied wohnt etwas NEUES inne.